Aufgreifen, begreifen, angreifen by Rudolf Walther

Aufgreifen, begreifen, angreifen by Rudolf Walther

Autor:Rudolf Walther
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Oktober Verlag


6 Carl Albert Loosli. Der Philosoph und Dichter aus Bümpliz

Kaum einer hat sich so gründlich mit seiner Umwelt angelegt wie Carl Albert Loosli. Er kämpfte gegen Faschismus und Antisemitismus, forderte das Frauenstimmrecht, wetterte gegen das helvetische Anpasser- und Duckmäusertum, kritisierte die Flüchtlingspolitik, die Freisinnigen, die Kirchen, die Rechtsprechung und das Anstaltswesen. Doch trotz der Gegnerschaft, die sich der Schriftsteller und Journalist zusammenschrieb, kennt ihn heute fast niemand mehr.

Der 1877 unehelich geborene Loosli war ein Ausgegrenzter – lebenslang –, als er am 22. Mai 1959 starb, blieb nur ein Name. Das könnte sich ändern: Es gibt jetzt eine dreibändige Loosli-Biografie und eine siebenbändige Ausgabe seiner Werke.

Seine Mutter sah er nur fünfmal, sie blieb ihm »unheilbar fremd«. Sie übergab das Kind einer Pflegemutter. Als 44-Jähriger schrieb Loosli an seine Mutter: »Wir kennen uns nicht, und wir haben uns nie gekannt.« Seinen Vater sah er nie. Die Katastrophe in Looslis Leben begann mit dem Tod der Pflegemutter. Der elfjährige Junge kam 1888 in ein Waisenhaus und durchlief in den nächsten fünfzehn Jahren eine brutale Heimkarriere mit 27 Stationen in Besserungsanstalten, Zwangserziehungsanstalten, Armenhäusern, Gefängnissen und Irrenanstalten. Das Einzige, was er dabei lernte, war die französische Sprache, da er längere Zeit in einem Heim in Grandchamp (Kanton Neuenburg) verbrachte.

Nach abgebrochenen Berufslehren kam er unter Vormundschaft, die damals »Bevogtung« hieß. Erst am 15. Mai 1901 – Loosli war 26 Jahre alt – wurde sie aufgehoben. 1924 erzählte er sein Überleben in den »Seelenverkümmerungsanstalten« in einem Buch mit dem Titel »Anstaltsleben«. Elf Verlage lehnten das Manuskript ab, das Buch erschien im Kleinverlag eines Freundes. Sein Leben lang kämpfte Loosli als Autor und Staatsbürger für die Rechte von Heim- und Verdingkindern und stritt für eine fortschrittliche Pädagogik (»Strafen oder erziehen?«, »Erziehen, nicht erwürgen!«, »Erziehung zur Selbsterziehung«, nicht »Dressur«, sondern »Individualisierung«). Er beklagte die frömmelnde Heuchelei von »Philanthrophagen«, menschenfresserischen Wohltätern, die die Religion als »Zuchtmittel« zur »Seelenbearbeitung« einsetzten und die Rechte von Kindern und Jugendlichen »im Mistloch der Gnade« (Loosli) ertränkten.

Nachhaltige Verbesserungen in der Anstaltserziehung und -aufsicht kamen erst nach 1945 zustande. Mit einer 18-teiligen Serie zwischen 1945 und 1949 im Zürcher »Tages-Anzeiger« war Loosli direkt daran beteiligt, dass das Thema auf der politischen Tagesordnung blieb. Nach 1945 bekannte sich auch Pro Juventute zu einem Grundsatz, den Loosli schon in den 20ern aufgestellt hatte: »Wir verlangen, dass Anstaltskinder zu Bürgern, nicht zu Untertanen erzogen werden.« Looslis Verdienste bei der Reform des Jungenderziehungsrechts sind unbestritten.

Nachdem die Vormundschaft über den 24-jährigen Loosli 1901 aufgehoben worden war, unternahm er eine Reise nach Brüssel, Amsterdam, Berlin und Paris, wo er Émile Zola traf und die Debatten über die Dreyfus-Affäre verfolgte. Unter den Pseudonymen Charles Trebla, Peter Schöps und Peter Lämmergeier schrieb Loosli für August Lauterburgs »Weltchronik«, aber auch für die sozialdemokratische »Berner Tagwacht« von Carl Vital Moor, den »Berner Boten« und den »Bund« unter Josef Victor Widmann, seinem »geistigen Vater« (Loosli).

Er lieferte Leitartikel, politische Berichte, Gerichtsreportagen, Feuilletons und Glossen. 1908 war er für ein Jahr Redaktor bei der »Tagwacht« und bezog ein regelmäßiges Gehalt. Die meiste Zeit arbeitete er jedoch »frei« und litt mit seiner Frau und seinen fünf Kindern unter Geldnot.



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